Das Haus der finsteren Träume ist ein Debütroman. Das ist eine nicht unwesentliche Information für die abschließende Beurteilung, die ich immer anwende, wenn sich herausstellt, dass ein Autor oder eine Autorin zu viel auf einmal umsetzen wollte. In diesem Fall ist es Shaun Hamill, geboren in Texas, wo er seinen Erstling auch angesiedelt hat. Inzwischen lebt er mit seiner Familie, laut Verlagsinformationen, »in den dunklen Wäldern Alabamas«.
Dunkel ist auch seine Fantasie, denn er ist ein riesengroßer Fan des Gesamtwerks von H.P. Lovecraft, dem Erfinder des Cthulhu-Mythos, dessen Einfluss auf alle fantastischen Genres immens und bis heute ungebrochen ist. Lovecrafts tief unheimlicher, aber nicht wirklich greifbarer Kosmos wurde bereits unzählige Male kopiert oder mit Hommagen bedacht. Den genauen Stil Lovecrafts zu treffen, ist eigentlich unmöglich, und so versucht es Hamill gar nicht erst, sondern belässt es bei einer Art charmant gemeintem Liebesbrief in Romanform.
Diesen nannte er im Original A Cosmology of Monsters, was der Intention besser entspricht als der eher platte und sogar leicht irreführende deutsche Titel Das Haus der finsteren Träume. Der Roman handelt nicht von einem Geisterhaus im herkömmlichen Sinne, sondern von einer Art Geisterbahn, die man zu Fuß durchläuft. Quasi eine aufwändig gestaltete Gruselshow, die sich die Familie Turner auf ihrem Grundstück baut, um zahlende Besucher zu erschrecken. Die Idee, vom besessenen Vater Harry Turner erdacht und initiiert, von seiner Familie, den Nachbarn und Freunden fortgesetzt, wirkt wahrscheinlich nicht nur für deutsche Blickwinkel mehr als skurril. Eine fünfköpfige Familie plus diverse Helfer sollen mit einem künstlichen Geisterhaus, also einer besseren stationären Rummelplatzattraktion, ihr Jahreseinkommen erwirtschaften? Aber gut. Es kommen auch Monster vor. Und die gibt es, realistisch gesehen, auch nicht.
Die Geschichte wird von einem allwissenden Erzähler geschildert: Das ist Noah Turner, der jüngste Spross der Familie, der seinen Vater nicht mehr erlebt hat. Noah erzählt die Story seiner Familie nicht ab dem Zeitpunkt seiner Geburt, sondern beginnt viel früher, als seine Mutter Margaret seinen zukünftigen Vater kennen lernte. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, denn Harry war immer schon etwas verschroben. Sein Lieblingsautor war Lovecraft. Er besaß eine riesige Sammlung seltener und wertvoller Comics und Pulp-Magazine. Wir kennen solche Typen zur Genüge. Nerdige Nerds unter den vielen Arten von Nerds, die es inzwischen so gibt. Auf der Familie Turner liegt ein Schatten, denn schon Harrys Mutter war nicht ganz richtig im Kopf. Alles in allem entwickeln sich die Turners, mit Vater, Mutter, zwei Töchtern und einem Sohn, im Verlauf der Erzählung zum Paradebeispiel für die dysfunktionale Familie. Spätestens wenn Harry die erste Version des Spukhauses zu bauen beginnt, werden die Risse größer. Und dann verschwindet plötzlich die ältere Tochter Sydney. Und Sohn Noah sieht ein Monster vor seinem Fenster …
Bis es soweit ist, könnte man Das Haus der finsteren Träume für einen Coming-of-Age-Roman halten. Es passiert so einiges bei den Turners. So entdeckt die jüngere Schwester Eunice ihre Liebe zu Mädchen, was Hamill ziemlich klischeehaft abhandelt. Und Noah schafft es, trotz immenser Eigenbrötlerqualitäten, genauso klischeehaft, trotzdem Freunde und Freundinnen zu finden. Am meisten beschäftigt ihn aber das Monster. Und zwar so stark, dass er es schließlich irgendwann in seinem Zimmer hineinlässt. Und mit ihm Liebe macht. (Davor nimmt es natürlich die Gestalt einer Frau an …)
Hamills Buch driftet zwischen den Genres. Es dominieren Drama und leichter Grusel. Wer Horror erwartet, wird enttäuscht sein. Wer Lovecraft erwartet, ebenso. Zwar hat der Autor jeden der sieben Teile des Buchs nach Lovecraft Geschichten benannt (»Das Ding auf der Schwelle«, »Der Flüsterer im Dunkeln«, »Der leuchtende Trapezoeder«, etc.) und er hat, wie sich im Lauf der Geschichte herausstellt, mit einer unbekannten Stadt, die zwischen den Realitäten existiert und Monster beherbergt, einen Hinweis auf eine Lovecraft‘sche Kosmologie entworfen, aber das ist nicht genug, um Kenner der Fantastik zu beeindrucken. Der Hintergrund, was es mit dem Monster und seinen Artgenossen wirklich auf sich hat, bleibt lange Zeit bewusst vage, um dann in einem Kapitel, kurz vor Schluss, eher nüchtern und synopsenhaft erklärt zu werden. Das ist eine typische Krankheit von Debütromanen. Womit sich der Kreis zum Beginn dieser Rezension schließt.
Unterm Strich bleibt ein Buch, welches nicht das bietet, was man erwartet. Es ist ein grundsolides Debüt. Es ist flüssig zu lesen und bietet leichten Schauer für die, die sich drauf einlassen. Wer Lovecraft nicht kennt, wird durch das Buch größtenteils gut unterhalten. Lovecraft Fans, die von Klappentext und Verlagswerbung durch die entsprechenden Buzzwords naturgemäß magisch angezogen werden, seien gewarnt. Sie sollten sogar besser einen Bogen um Das Haus der finsteren Träume machen.
Die Daten
Shaun Hamill, Das Haus der finsteren Träume
Originaltitel: A Cosmology of Monsters (2019)
Deutsche Erstveröffentlichung
Verlag: Heyne
Übersetzung: Jürgen Langowski
Titelillustration: alx_rmnwsky [d.i. Alexey Romanowsky]
Format: Paperback
Seitenzahl: 464
Veröffentlichungsdatum: 13. Juli 2020
ISBN: 978-3-453-31995-0
Preis: € 14,99