Das gefälschte Herz [Die Neraval-Sage 2] – Maja Ilisch

Fast genau ein Jahr nach Das gefälschte Siegel ist der zweite Band der sogenannten »Neraval-Sage« von Maja Ilisch erschienen: Das gefälschte Herz. Es war der Auftakt einer Trilogie und er endete mit einem brutalen Cliffhanger. Die rund 450 Seiten bis zu diesem fulminanten Ende des ersten Drittels waren eher durchwachsene Kost. Warum das so war, kann man in der Rezension zu Band 1 nachlesen.

Trotzdem. Maja Ilisch kann wohlformuliert schreiben. Sie hat Talent. Die Neraval-Sage wird vom Verlag Hobbit-Presse als ihr High-Fantasy-Debüt vermarktet, und auch wenn weder ihre Welt, noch ihr Szenario, bislang dem internationalen Standard und den geweckten Ansprüchen entsprechen, so kann man konstatieren, dass ihr Schreibstil eine höhere Qualität aufweist. In dieser Kategorie landet sie mit ihren Büchern innerhalb des Genres der deutschsprachigen Fantasy im oberen Drittel.

Hinsichtlich Handlung und Charaktere geht es dort weiter, wo Band 1 aufgehört hat. Leider. Plus: Die Autorin macht gleich zu Beginn einen Kardinalfehler: Es wird alles vorausgesetzt. Die Handlung des ersten Teils wird nur rudimentär zusammengefasst und alle wesentlichen Protagonisten werden nicht vorgestellt. Maja Ilisch setzt nicht nur voraus, dass die Leser den ersten Teil bereits gelesen haben, sie nimmt auch an, dass alle den bisherigen Plot und die Figuren schön mental präsent haben, als hätten sie das erste Buch erst letzten Monat gelesen. Obwohl Ilisch grundsätzlich eher zu viel drum herum schreibt, hat sie gleich zu Beginn, ohne Not, Erklärungen und Worte gespart.

Was ist bisher bisher passiert? Prinz Tymur hat die Zauberin Ililiané rücksichtslos erstochen. Eigentlich war er auf den meisten Seiten des ersten Teils der Neraval-Sage auf der Suche nach ihr gewesen, weil er sich Hilfe im Kampf gegen den bösen Erzdämon La-Esh-Amon-Ri von ihr erhoffte. Diesen Dämon trug er vermeintlich, gebannt in eine Schriftrolle, mit sich. Vor vielen Jahren hatte ebendiese Ililiané zusammen mit Tymurs Vorfahr Damar den schrecklichen Dämonenfürsten in die Rolle verbannt und dadurch die Welt gerettet. Nun erscheint es plötzlich so, dass der Dämon von Tymur Besitz ergriffen hat, um ihn diese furchtbare Tat begehen zu lassen. Ililiané verblutet und stirbt. Tymur und seine drei Gefährten müssen die Flucht ergreifen, denn Ililianés Volk, den mysteriösen Alfeyn, wird dieser kaltblütige Mord nicht gefallen. Die anderen drei Hauptpersonen sind: Kevron, ein trockener Alkoholiker, Enidin, eine talentierte Jungmagierin, und Lorcan, ein sogenannter Steinerner Wächter, der Tymur hoffnungslos ergeben und zusätzlich durch einen etwas absurden Eid an den Prinzen gebunden ist.

Sämtliche Figuren wirken als wären sie direkt aus dem »Großen Buch der Klischees« entnommen. Man kann sich gar nicht entscheiden, welche Figur flacher geraten ist.

Die junge, aufstrebende, in Tymur verliebte Magierin Enidin ist so etwas wie ein Deus ex machina. Sie kann Portale kreieren, wenn sonst alle (inklusive der Handlung) festhängen, und sobald die agierenden Personen durchspringen, sind sie flugs woanders. Da Enidins Liebe vom Prinzen nicht erwidert wurde, trennt sie sich frühzeitig von der Gruppe, teleportiert sich zurück nach Neraval und deckt in einem etwas abrupt endenden separaten Erzählstrang ein erschreckendes Geheimnis auf.

Kevron ist eher der Normalo, der unfreiwillig mit von der Partie ist, und natürlich irgendwann mit seiner Sucht nach Ethanol stark zu kämpfen hat. Der homosexuelle Wächter Lorcan, samt seiner nibelungentreuen Abhängigkeit von Tymur, ist so extrem konstruiert und unglaubwürdig, dass man beim Lesen mehrfach den Kopf schütteln muss. Er ist eigentlich nur Staffage, was kein Wunder ist, schließlich wurde er am Ende von Teil 1 so stark verwundet, dass er zu Beginn von Teil 2 nur durch magisches Handauflegen einer Heilerin der Alfeyn vom Tod gerettet werden konnte. Aber natürlich nicht 100-prozentig. Und so kränkelt er langsam vor sich hin.

Schließlich hätten wir noch den Prinzen. Tymur ist alles und nichts zugleich. Das personifizierte Enigma. Die Autorin spielt hier mit der Erwartungshaltung der Leser und schildert ihn so inkonsistent und widersprüchlich wie möglich. Es geht um die Frage, ob er nun eher gut oder doch eher böse ist. Und falls er böse ist, ist er so, weil er vom Erzdämon besessen ist? Oder ist er von Natur aus schlecht?

Wenngleich alle vier Charaktere nicht sonderlich sympathisch sind, und sich bis auf Enidin auch nicht merklich weiterentwickeln, scheint Tymur das größte und perfekteste Arschloch von ganz Neraval zu sein. Er hat Kevrons Zwillingsbruder Kaynor umgebracht. Er lügt und betrügt und er denkt immer wieder daran, seine vermeintlichen Freunde zu töten. Diese durchschauen sein Intrigenspiel zwar irgendwann, machen aber mit, weil sie keine andere Wahl haben. Und so herrscht vorwiegend eine miese Stimmung in der Reisegruppe, die in ihrer Dauerhaftigkeit und Penetranz das Wohlwollen des Lesers strapaziert. Das meiste, was Tymur macht und denkt, ist nicht nachvollziehbar, aber im Zweifel ist der Dämon schuld. Dieser wiederum hat sich weder in Band 1, noch in Band 2, bislang in irgendeiner Form auch nur ansatzweise direkt bemerkbar gemacht. Vielleicht spart sich die Autorin das fürs große Finale auf?

Im Verlauf der Handlung gibt es ein, zwei überraschende Wendungen. Um nicht zu sehr zu spoilern, sollen diese hier nicht genannt werden. Die eher unbedarften Leser oder Freundinnen aus Maja Ilischs Tintenzirkel-Umfeld mögen das beklatschen. Man kann diese erzählerische Tricksereien aber auch als Weg des geringsten Widerstands werten. Mit Abstand betrachtet sieht es aus, als hätte die Autorin die Handlung in eine Sackgasse gefahren und versucht, sie zu retten, indem sie sie auf Null stellt, um weiterschreiben zu können.

Handlungstechnisch verfährt Ilisch ähnlich wie bei Band 1. Die Protagonisten um Tymur eiern mehr oder weniger ziellos durch den Plot. War es im ersten Teil ein dunkler Wald oder die neblige Stadt Ailadredan, so ist es im zweiten Part weiterhin die vernebele Ansiedlung der Alfeyn sowie ein steinernes Tal oder eine nicht enden wollende stockdunkle Höhle durch einen Berg. Die Protagonisten bewegen sich eins vor, eins zur Seite, eins oder zwei zurück, eins vor. Und die Leser folgen hinterher, ohne zu merken, dass man sich fast im Kreis bewegt. Besonders die ersten 100 Seiten mäandrieren gemächlich vor sich hin.

Auch wenn die Trilogie als Neraval-Sage bezeichnet wird, befinden sich Tymur, Kevron und Lorcan dauerhaft außerhalb von Neraval. Das was Neraval ausmacht, das Land, die Stadt, die Burg, ist so weit im Hintergrund der Erzählung, dass es keinerlei Bedeutung hat.

Zählt man all diese Merkwürdigkeiten zusammen, bleibt ein wirrer Eindruck zurück. Die schwachen Charaktere leben nur durch widersprüchliche und teilweise völlig unsinnige Aktionen. Spannung wird in erster Linie durch Missverständnisse, Lügen und Niedertracht unter den Charakteren erzeugt. Sie haben einen eklatanten Konstruktionsfehler, denn sie wurden zu breit, aber nicht tief genug entworfen. Dadurch wirken sie unecht und beliebig. So nach dem Motto: »Heute so, morgen so«. Und wenn sich Tymur das x-te Mal für eine mehr oder weniger starke Bosheit bei Lorcan oder Kevron entschuldigt, lässt einen das als Leser kalt. Denn irgendwann ist jeder Bogen überspannt.

Was bleibt, ist die Hoffnung auf ein schönes Ende. Handwerklich hat Maja Ilisch auf jeden Fall das Potenzial dazu. Wünschen wir uns, dass Handlung und Charaktere noch die Kurve kriegen. Somit bleibt nach der Lektüre des zweiten Teils alles offen. Nichts scheint unmöglich.


Maja Ilisch, Das gefälschte Herz [Die Neraval-Sage Band 2]
Originalausgabe (2020)
Verlag: Klett-Cotta Hobbit-Presse
Übersetzung: n/a
Titelillustration: Max Meinzold
Format: Hardcover
Seitenzahl: 475
Veröffentlichungsdatum: 14. März 2020
ISBN: 978-3-608-98239-8
Preis: € 22,00

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