Egal, wie einem nach Lektüre von Das gefälschte Siegel das Buch gefällt: Das Titelbild, ja, die gesamte Umschlaggestaltung ist wundervoll. Die geheimnisvolle Szenerie mit der Burg, das betörende Spiel mit dem Licht, diese stimmungsvollen blauen und grünen Farbtöne, das silberne Logo der Titelschrift mit erfühlbaren Hervorhebungen. Eine Eins mit Sternchen geht jeweils an den Künstler Max Meinzold und Birgit Gitschier, die Gestalterin des Schutzumschlags. Damit hat die Hobbit Presse von Klett Cotta ins Schwarze getroffen. Das ist optisch und haptisch auf höchstem Niveau. Und es macht so richtig Lust, das Buch aufzuschlagen. Oder andersherum formuliert: Der erste äußerliche Eindruck legt die Messlatte ganz schön hoch und steigert natürlich die Erwartungshaltung in Bezug auf den Inhalt. Um es vorweg zu nehmen: Das Innere, die Seele des Buchs, hinkt leider qualitativ dem Äußeren hinterher. Doch der Reihe nach …
Die Handlung ist recht schnell zusammengefasst. Vier Personen werden vom Schicksal mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelt und begeben sich auf die bei Fantasyromanen fast schon obligatorische Suche. Es sind dies: Kevron, ein Fälscher, dessen Leben durch übertriebenen Alkoholkonsum am Boden liegt. Tymur, ein launischer Prinz, der für die Queste verantwortlich ist. Die junge, unerfahrene Magierin Enidin, und der Steinerne Wächter Lorcan. Die beiden letzteren sind in den Prinzen verschossen. Ja, auch der Wächter. Wir sind hier schließlich in einem modernen Fantasyroman.
Jedem einzelnen des Quartetts ist gemein, dass alle vier nicht sonderlich sympathisch sind, und, dass sie völlig klischeehaft denken und handeln. Besonders mit dem Denken übertreiben sie es. Handeln, also Action, ist über weitere Strecken des Romans nicht angesagt. Und deshalb passiert auch nicht sonderlich viel auf den fast 500 Seiten. Möglicherweise wird auf einem Drittel der Seiten (ich habe es nicht gezählt), gefühlt sogar eher auf der Hälfte davon, vorwiegend gegrübelt … Wie geht’s mir? Was denken die anderen von mir? Was mache ich hier überhaupt?
Hinzu kommt, dass die Fantasywelt, in der Das gefälschte Siegel spielt, ziemlich rudimentär ausgearbeitet ist. Man erfährt ein bisschen was von Neraval, dem Schloss und der Dynastie. Und es gibt diesen bösen Erzdämon, der vor vielen tausend Jahren vom Held Damar, einem Vorfahr Prinz Tymurs, und der Zauberin Illiane besiegt und in eine Schriftrolle verbannt wurde. Darüber hinaus reist man durch einen mysteriösen Wald und teleportiert sich in eine mysteriöse Stadt zu einem noch mysteriöseren Volk. Aber sonst? Nicht viel.
Da es sich bei dem Buch um den Auftakt einer Trilogie, der sogenannten »Neraval-Sage«, handelt, darf man für die beiden Folgebände mehr erwarten. Der erste Teil ist etwas arg vage und unscharf geraten. Aber das mag Absicht sein. Ein paar Fragen sollten schon noch offen und ein paar Rätsel ungelöst bleiben. Die geschätzte Leserschaft soll ja auch noch die nächsten beiden Teile kaufen.
Der Band wird vom Verlag als erster High-Fantasy-Roman von Maja Ilisch vermarktet. Das wäre so etwas in Richtung Tolkiens Herr der Ringe. Zumindest aber ein mehrdimensionales Worldbuilding, also der Entwurf einer Fantasywelt, die beeindruckend real wirkt: Ein Weltenszenario mit vielen Ländern, einer zumindest groben Landkarte, einer Lastwagenladung voller schillernder Charaktere, die nur durch ein Namensregister in den Griff zu kriegen sind, und eine vielschichtige Handlung. Und was kriegt man stattdessen geboten? Eher ein Potemkinsches Dorf oder eine Art Hollywood-Kulissengeschichte, die aus einer schön angemalten Bretterwand besteht. Oder einfach gesagt: nicht viel Substanz.
Was man dem Roman zu Gute halten kann, ist der Schreibstil von Maja Ilisch, der qualitativ hochwertig ist. Der Wortschatz der Autorin ist reichhaltig. Ihre Sätze sind wohl formuliert, wenngleich auch etwas geschwätzig. Hier hätte das Lektorat gut und gerne 50 Seiten kürzen können, ohne dem Endergebnis zu schaden. Im Gegenteil. (Obendrein gibt es nach dem Ende des Romans noch fast vier Seiten »Danksagung«, was man eher bei Amateurschreibern findet, die am liebsten der ganzen Welt danken würden.)
Was man wiederum dem Roman unbedingt als schlecht ankreiden muss, sind die flachen Charaktere, die nicht stringent handeln und dadurch unglaubwürdig wirken. Zudem gibt es einige verschenkte Chancen, die Handlung interessanter zu gestalten, allen voran die Homosexualität von Lorcan, die nur latent vorhanden ist. Da wäre wesentlich mehr drin gewesen.
Immerhin gibt es am Schluss einen fiesen Cliffhanger, so dass man doch tatsächlich nach all den erzähltechnischen Längen wissen will, wie es weitergeht. Lasst uns somit beide Daumen drücken, dass Maja Ilisch mit Band 2 diese Erwartungshaltung nicht vermasselt.
Maja Ilisch, Das gefälschte Siegel [Die Neraval-Sage Band 1]
Originalausgabe (2019)
Verlag: Klett-Cotta Hobbit-Presse
Übersetzung: n/a
Titelillustration: Max Meinzold
Format: Hardcover
Seitenzahl: 486
Veröffentlichungsdatum: 28. Februar 2019
ISBN: 978-3-608-96030-3
Preis: € 22,00