Ein Junge und sein Hund? Und das Ende der Welt? Das gab es schon einmal. Und zwar 1969, aus der Feder des einzigartigen Harlan Ellison. Er schrieb damals die Novelle »A Boy and His Dog« (dt. »Ein Junge und sein Hund«), die ein Jahr später nicht nur den Nebula-Award einheimste, sondern in Folge von Richard Corben als Comic adaptiert wurde. Und eine Verfilmung existiert auch. Ellisons Geschichte vom gewissenlosen Jungen Vic und seinem telepathischen Hund Blood, die beide nach einem Nuklearkrieg in einer post-apokalyptischen Welt ums Überleben kämpfen, gilt nicht nur als eines der besten Werke von Harlan Ellison, sondern innerhalb der SF als prägend.
Der schottische Autor C.A. Fletcher hat Ellison möglicherweise nicht gelesen. Mit Ein Junge, sein Hund und das Ende der Welt hat er zwar ebenfalls einen dystopischen Roman abgeliefert, in dem die Hauptperson mit einem Hund durch eine menschenleere Landschaft streift, aber das war es dann auch schon. Inspiriert wurde Fletcher von seinem eigenen Leben. Da ist die alte Straße, die aus seinem Dorf führt, die vor 25 Jahren geschlossen wurde und seitdem von der Natur zurückerobert und nur von Spaziergängern und ihren Hunden benutzt wird. Oder die Lektüre von zwei Sachbüchern (Die Welt ohne uns: Reise über eine unbevölkerte Erde von Alan Weisman und The Earth After Us von Jan Zalasiewicz) die Szenarien entwerfen, wie die Welt ohne Menschen aussehen würde. Oder die Inselgruppe der Äußeren Hebriden an der Westküste Schottlands mit ihrer urtümlichen, wilden Leere. Fletchers Kinder konnten sich jeden Sommer an diesen einsamen Stränden, zusammen mit Hund Archie austoben. Nach Terrier Archie hat Fletcher den Hund Jip in seinem Roman 100% modelliert, wie er in einem Interview mit der Webseite The Nerd Daily erzählt. Er selbst ist ebenfalls mit einem Hund aufgewachsen. Robber hat ihn bis zu seinem 22. Lebensjahr begleitet, an manchen Tagen von früh bis spät und bis ins Bett, und er war nichts weniger als ein Bruder für Fletcher. Und wenn ihn jemand gestohlen hätte, dann hätte er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn wiederzubekommen. So wie der Junge in seinem Roman.
Für Ein Junge, sein Hund und das Ende der Welt hat Fletcher seinen Namen geändert. Bislang schrieb er Drehbücher und im Bereich der Belletristik eher Urban-Fantasy-Romane wie die Stoneheart-Trilogie, die auch auf Deutsch bei cbj erschienen ist. Allerdings unter dem Namen »Charlie Fletcher«. Weil sein britischer Verlag aber meinte, in dem neuen Roman würden keine Magie und Fantasy vorkommen und man das besser abgrenzen sollte, wird seine Dystopie unter dem Autorennamen »C.A. Fletcher« vermarktet.
Die Geschichte wird erzählt von Griz. Griz lebt auf den Äußeren Hebriden auf der Inselgruppe Uist an der Westküste Schottlands im Atlantischen Ozean. Die Menschheit hat eine weiche Apokalypse hinter sich und ist dadurch zum großen Teil unfruchtbar geworden. So leben in Schottland nur noch wenige Menschen völlig verstreut in kleinen Familien oder Gruppen. Die Insel Barra gilt als »verseucht«, Bereiche des Meeres sind »sauer«. Griz lebt mit Familie und den zwei Hunden Jip und Jess in dieser von der Natur zurückeroberten Welt, als sie Besuch bekommen von einem fliegenden Händler namens Brand, der gerne Tauschgeschäfte macht. Brand stellt sich heraus als Lügner, der nicht nur die Fischvorräte raubt, sondern auch Hündin Jess entführt. Daraufhin entschließt sich Griz, den Dieb zu verfolgen, um die Hündin zu befreien und wieder nach Hause zu bringen. Der treu ergebene Hund Jip kommt natürlich mit auf das Abenteuer.
Viel mehr von der Handlung zu erzählen, würde zu stark spoilern. Dieser Umstand ist dem Autor so sehr wichtig, dass er sich zu einem expliziten Leserhinweis vor Beginn des Romans genötigt sieht: »Es wäre freundlich gegenüber anderen Lesern – um nicht zu sagen gegenüber dem Autor -, wenn die Entdeckungen, die ihr mit Griz auf seiner Reise durch die Ruinen unserer Welt macht, unser Geheimnis bleiben …«
Dem möchte ich gerne nachkommen, schließlich hat Fletcher eine wirklich unerwartete Überraschung eingebaut, die den gesamten Plot auf den Kopf stellt. Und zwar so stark, dass manche Leser pikiert sein könnten. Mich dagegen hat das nicht verärgert, im Gegenteil. Was für ein Twist …
Das Buch lebt von den Schilderungen der Hauptperson. Griz wird als sehr belesen dargestellt. Es gibt Hinweise auf die Lektüre von SF-Romanen wie Lobgesang auf Leibowitz von Walter M. Miller Jr. oder Die Straße von Cormac McCarthy, mit denen nicht alle Leserinnen und Leser etwas anfangen dürften. Ansonsten ist Griz entgegen jeder Widrigkeit nicht von dem Plan abzubringen, die Mission Hunderettung zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
Während die Beziehung von Griz zu Hund Jip besonders eindrücklich erzählt wird, ist es der grundsätzliche Kampf ums Überleben und die besondere Fähigkeit von Griz, niemals den Mut zu verlieren oder ans Aufgeben zu denken, nach Beendigung der Lektüre im Gedächtnis haften bleiben.
Mit Ein Junge, sein Hund und das Ende der Welt hat C.A. Fletcher einem Roman abgeliefert, den man für alle Altersgruppen empfehlen kann: ein unterhaltsames Stück Abenteuerliteratur, das langsam beginnt und in dem sich gegen Ende die Ereignisse regelrecht überschlagen. Wer Hunde liebt, kommt sowieso nicht daran vorbei.
C. A. Fletcher, Ein Junge, sein Hund und das Ende der Welt
Originaltitel: A Boy and His Dog at the End of the World (2019)
Deutsche Erstveröffentlichung
Verlag: penhaligon
Übersetzung: Vanessa Lamatsch
Titelillustration: Max Meinzold
Format: Paperback mit Klappenbroschurg
Seitenzahl: 476
Veröffentlichungsdatum: 27. April 2020
ISBN: 978-3-7645-3232-1
Preis: € 15,00