Fast jede Genreliteratur lebt durch Varianten von mehr oder weniger Bekanntem. Wirklich Neues gibt es nicht und wenn, dann entsteht es am ehesten aus Mischungen von Elementen, die man bereits kennt. Ab und zu passiert es dann doch, so wie bei Jägerin des Sturms.
Auf dem Backcover und dem Buchrücken steht zwar »Fantasy«. Aber so richtig klassisch einordnen lässt sich der Debütroman von Rebecca Roanhorse nämlich nicht. Er ist eher eine Mischung aus postapokalyptischer Science Fiction, Urban Fantasy und Indianermythologien. Das Ergebnis ist ein durchaus erfrischendes Setting, inspiriert von den Sagen des Volks der Navajo-Indianer. Oder der Diné, wie sie sich selbst nennen.
Rebecca Roanhorse hat diese besondere Mythologie mit Absicht als Hintergrund gewählt, wie man an ihrem Nachnamen ablesen kann. Sie besitzt sowohl afrikanisch-amerikanische als auch indianische Wurzeln und ist mit einem Navajo-Indianer verheiratet. Sie kennt sich somit aus.
Die Ausgangslage der Handlung von Jägerin des Sturms ist schnell zusammengefasst: Eine apokalyptische Flut hat die Vereinigten Staaten von Amerika im 21. Jahrhundert größtenteils zerstört und auf der Erde Magie einkehren lassen. Die Navajos gründeten eine eigene indianische Nation namens Dinétah und einige von ihnen entwickelten sogenannte Clan-Kräfte. Darunter kann man sich übermenschliche Fähigkeiten vorstellen, die sich in erster Linie von Tieren oder Totems ableiten. Superkräfte, wenn man so will.
Heldin des Romans ist Maggie Hoskie, eine Indianerin, die schon viel durchgemacht hat in ihrem jungen Leben. Im Alter von 16 wurde ihre Großmutter von Hexen und Monstern getötet, ein Ereignis, welches ihre Klan-Kräfte ausbrechen ließ. Seitdem besitzt sie in bestimmten Stresssituationen übermenschliche Schnelligkeit und einen starken Hang zum Töten. Sie ging beim bekannten Monstertöter Neizghání in die Lehre. Dieser unterrichtete sie in diversen Kampfkünsten und schickte sie jedoch weg, als er gemerkt hatte, dass sie in Problemsituationen viel zu gewalttätig agiert. Seit dem schlägt sie sich alleine als Kopfgeldjägerin durchs Leben und bevorzugt es, Monster zu jagen und zu töten.
All das wird quasi nebenbei, Stück für Stück, erzählt, denn die eigentliche Geschichte des Romans beginnt mit einem Auftrag für Maggie. Aus einem Dorf wurde ein kleines Mädchen entführt. Von einem menschlichen Monster. Sie bringt das zombieähnliche Wesen zur Strecke, kann aber das Mädchen nicht lebend retten. Auf der Suche nach Informationen über die mordende Bestie erhält sie Informationen vom örtlichen Schamanen. Das Monster soll künstlich von einer Hexe erschaffen worden sein. Der Schamane bringt Maggie mit seinem Enkel, dem Medizinmann Kai Arviso, der ebenfalls besondere Kräfte hat, zusammen und beide begeben sich auf die Suche nach dem rätselhaften Ursprung dieser bösartigen Monster.
Rebecca Roanhorse hatte vor diesem Buch kürzere Texte veröffentlicht, von denen die Story »Welcome to Your Authentic Indian Experience™« 2018 in der Kategorie »Beste Kurzgeschichte« sowohl den Hugo- als auch den Nebula-Award gewann. Im gleichen Jahr wurde ihr der John W. Campbell Award als beste Nachwuchsautorin verliehen. Eine zusätzliche Bestätigung für das aufstrebende Talent von Roanhorse war die Nominierung ihres Erstlings Jägerin des Sturms, der 2019 in der Hugo-Award-Kategorie »Bester Roman« nominiert wurde.
Die sehr zeitnah erfolgte deutschsprachige Veröffentlichung des Werks ein ein weiteres Indiz für die steigende Popularität der US-Amerikanerin. Zum Vergleich: Der 2018 in den USA veröffentlichte Roman der Hugo-Gewinnerin von 2019, The Calculating Stars von Mary Robinette Kowal, muss erst noch seinen Weg nach Deutschland finden, denn er ist in den Verlagsprogrammen bis Herbst 2020 nirgends gelistet.
Roanhorses Roman, dessen Handlung durchgängig in der Zeitform des Präsens erzählt wird, was etwas gewöhnungsbedürftig ist, beschränkt sich vornehmlich auf die Erlebnisse um Maggie. Authentizität erlangt er durch die Verwendung von Begriffen aus der Sprache der Navajos. Das wiederum kann für Viel- und Schnellleser etwas anstrengend sein, da keine der indianischen Vokabeln erklärt wird, es kein Glossar gibt und man sich deren Sinn aus dem Zusammenhang erschließen und sich merken muss. Aber es verleiht dem Roman eine besondere indianische Mystik, die man nicht so oft findet, und hilft beim Erschaffen dieser realistischen neuen Welt, in der Magie ihren Platz hat.
Zu den Pluspunkten von Jägerin des Sturms zählt, dass Roanhorse gradlinig erzählt. Und ihre eigenbrötlerische Heldin Maggie wirkt mit ihren Ecken und Kanten realistisch. Die Handlung ist unter dem Strich spannend genug, um Leser bei der Stange zu halten. Zu den Minuspunkten zählt die Beziehung zu ihrem unfreiwilligen Partner Kai Arviso, dessen wahre Absichten bis zuletzt nebulös bleiben. Maggies Freundschaft zu dem gut aussehenden selbstbewussten Heiler wirkt etwas arg konstruiert.
Insgesamt gesehen ist Jägerin des Sturms ein gelungener Auftakt und bereitet den Weg für weitere Abenteuer der forschen Monsterjägerin. Der zweite Band ist auf Deutsch bereits angekündigt: Meister der Heuschrecken soll Ende September 2020 erscheinen.
Nachträgliche Anmerkung:
Die Printausgabe des zweiten Bands wurde letztlich gecancelt. Möglicherweise eine kurzfristige Entscheidung im Verlag, denn der Roman ist am 30.09.2020 immerhin noch als E-Book erschienen. (ISBN 978-3-7325-8800-8).
Die Daten:
Rebecca Roanhorse, Jägerin des Schurms (Das erwachte Land Band 1)
Originaltitel: The Sixth World Book One: Trail of Lightning (2018)
Verlag: Bastei Lübbe
Aus dem amerikanischen Englisch von Frauke Meier
Format: Taschenbuch
Seiten: 348 Seiten
Veröffentlichungsdatum: 27. November 2019
ISBN: 978-3-404-20964-4
Preis: € 11,00