Fangen wir mit einer wichtigen Erkenntnis an: Madeleine Puljic ist keine Marie Robinette Kowal. Sie ist keine moderne weibliche Stimme der Science Fiction, die in der deutschsprachigen SF so dringend erwartet wird (sieht man einmal von Sybille Berg mit Romanen wie GRM. Brainfuck ab, die sicherlich niemand als SF-Autorin bezeichnen würde). Zu diesem Schluss kommt man schon nach Lektüre des ersten Drittels ihres Buchs Zweite Heimat – Die Reise der Celeste, einem eigenständigen SF-Roman, den Puljic außerhalb des bislang von ihr gewohnten Perry-Rhodan-Serien-Umfelds vorgelegt hat.
Die eingangs erwähnte US-amerikanische SF-Autorin Kowal zählt zu den innovativen weiblichen Stimmen, die in der anglophonen SF seit einiger Zeit den Ton angeben. Neben N.K. Jemisin, Becky Chambers, Nnedi Okorafor, Charlie Jane Anders, Annalee Newitz, und wie sie alle heißen. Kowal sahnte mit ihrem Roman The Calculating Stars 2019 nicht nur den Hugo-Award in der Kategorie »Bester Roman« ab, sondern auch sonst alle Preise, die es zu gewinnen gab.
In The Calculating Stars, dem ersten Roman der sogenannten Lady-Astronaut-Serie, handelt der Plot, wie der von Zweite Heimat – Die Reise der Celeste, von der Besiedelung des Mars. Nur wirkt der Roman von Kowal, obwohl er inhaltlich seinen Ursprung im 20. Jahrhundert während dem Wettlauf ins All hat, also in den 1950er Jahren, mit seiner Verarbeitung von Rassen- und Geschlechterthemen wesentlich moderner als der von Puljic. Deren Handlung hingegen könnte aus der Zeit der Anfänge der Science Fiction stammen, als noch Hugo Gernsback und John W. Campbell Jr. das Sagen hatten. Und beide Herausgeber-Koryphäen hätten ihr, würden sie noch leben, vor allem eines geraten: Kürzen! Kürzen! Kürzen!
Es ist nämlich so, dass nicht nur der eigentliche Verlauf der Story dürftig ausgefallen ist, sondern auch das bei faszinierender Science Fiction nötige Drumherum. Die Science und der gesamte Hintergrund fehlen nahezu komplett. Ein mangelhafter wissenschaftlicher Unterbau muss wiederum kein Malus sein, wenn der Rest passt. Aber ein wenig Recherche vor dem Schreiben des Werks hätte es doch sein können. Oder zumindest die Lektüre eines populärwissenschaftlichen Buchs wie Der Weg zum Mars: Aufbruch in eine neue Welt (Hrsg. Sascha Mamczak und Sebastian Pirling). Dann wäre die Geschichte nicht an der Oberfläche verhaftet geblieben.
Die eigentliche Story, die übrigens im krassen Widerspruch zum Untertitel nicht von einer Reise handelt, dreht sich um die Crew des Raumschiffs Celeste. Sie wird zum Mars geschickt, um diesen zu besiedeln. Dort trifft man auf echsenartige Aliens, die E’Kturi, die den Menschen in jeder Hinsicht überlegen scheinen. Die E’Kturi haben beschlossen, die Menschheit aufgrund des Verhaltens der wenigen Marsbesucher von der Erde zu bewerten. Falls die Prüfung nicht bestanden wird, soll die Menschheit technisch zurückgestuft werden. Also ziehen die Aliens flugs in die Marsstation der Menschen ein und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
Nahezu alle handelnden Personen des Romans sind Schablonen. Natürlich ist der Kommandant der ersten Marsbesiedelungsmission, der Finne Alvar Lajunen, der Umsichtigste von allen und, natürlich, ist sein Stellvertreter Michael Harris, ein US-amerikanischer Hitzkopf und ehemaliger US-Air-Force-Pilot, recht schnell sein interner Widersacher, der ihm vor der Beurteilung der Aliens das Leben schwermacht. Und, logisch, Hana Lajunen, seine Frau, möchte ebenfalls zum Mars fliegen, muss aber zunächst aussetzen und warten bis die zweite Mission, die Destiny, startet, bis sie dann doch eingreifen darf. Die Aliens sind irgendwie allwissend, lassen sich aber tölpelhaft ausspionieren. Mit den geklauten Informationen baut die NASA geschwind ein Raumschiff mit extraterrestrischer Technologie nach, umgeht jede Art von »Forschung und Entwicklung« der Weltraumtechnik, und flitzt damit durchs All. Das schlimmste personifizierte Klischee ist jedoch der fiese und böse NASA-Befehlshaber, der an Eindimensionalität kaum zu überbieten ist. Die restliche Marslandecrew bleibt so blass und schemenhaft, dass man sich die einzelnen Personen nur mühsam anhand der Namen und Nationalitäten merken kann.
Zweite Heimat – Die Reise der Celeste ist nicht nur eine Mogelpackung, denn der Untertitel suggeriert, dass es in diesem Roman schwerpunktmäßig um eine Exkursion zum roten Planeten geht, sondern ein Werk aus der Kategorie »Schnell wieder vergessen«. Die kaum überraschende Handlung hätte man nicht auf 300 Seiten auswalzen müssen (In den 1940er Jahren hätten SF-Autoren das auf maximal 50 Seiten abgehandelt.) Und kurioserweise wirken die letzten Seiten eher so, als hätte sich die Autorin bis dahin vergaloppiert, um dann noch schnell, hopplahopp, das Buch zu einem halbwegs beruhigenden Ende bringen zu müssen.
Ich könnte darauf wetten, dass Madeleine Puljic das viel besser kann. Doch ein eigenständiger SF-Roman ist ein anderes Kaliber, als beispielsweise ein vergleichsweise kurzer und schnell geschriebener Perry-Rhodan-Band, dessen Handlung und Hauptpersonen durch ein Exposé von außerhalb vorgegeben werden.
Zweite Heimat ist höchstens etwas für SF-Anfänger, die noch wenig Science Fiction gelesen haben, und schon gar keine Mars-Romane. Es hat niemand ein Werk vom Kaliber eines Andy Weir (Der Marsianer) oder Kim Stanley Robinson (Red Mars) erwartet, aber vielleicht doch etwas frischere mit femininen Sichtweisen gespickte weibliche SF. Aber, wie eingangs erwähnt, Madeleine Puljic hat leider nicht das Rüstzeug einer Mary Robinette Kowal. Zumindest noch nicht. Das Warten geht weiter …
Madeline Puljic, Zweite Heimat: Die Reise der Celeste
Originalausgabe (2020)Verlag: Knaur
Übersetzung: n/a
Titelillustration: Dotted Yeti
Format: Taschenbuch
Seitenzahl: 302
Veröffentlichungsdatum: 2. März 2020
ISBN: 978-3-426-52435-0
Preis: € 14,99